Ein Plädoyer für etwas, das ganz aus der Mode gekommen ist: die schiere Langeweile.
Ein Lob der Langeweile
Ich liebe sie. Ich lobe sie: Die Langeweile. Damit meine ich nicht die in Wellness gekleidete Erholung. Ich meine auch nicht das Abhängen oder Chillen. Das kommt alles gelassen daher, riecht aber irgendwie immer nach Anspannung. Ich spreche von der reinen und gähnenden Langeweile. Der Langeweile ohne Sinn und Funktion. Diese lobe ich. Obwohl mir bewusst ist, dass ich mit dieser Haltung zu einer kleinen Minderheit gehöre. Inmitten einer Gesellschaft, die mit Zerstreuung, Betriebsamkeit und Produktivität einen gnadenlosen Kampf gegen die Langeweile führt.
Aber jetzt seien wir einmal ehrlich: Gibt es etwas Besseres, als nichts Besseres zu tun zu haben? Ist es nicht beneidenswert im Luxus zu schwelgen, nichts zu tun? Und dieses Nichtstun einfach zu genießen? Warum löst dieser Gedanke bei uns sofort ein Gefühl des Unwohlseins aus?
Das knappe Gut Zeit verträgt sich nicht mit Langeweile
Es mag daran liegen, dass Zeit für uns immer kostbarer wird. Viel zu kostbar, als dass wir uns darin langweilen dürften. Wir glauben, Zeit ist ein knappes Gut und deshalb muss sie um jeden Preis genutzt werden. Sie verlangt nach optimaler Ausfüllung. Deshalb planen wir unseren Alltag durch von morgens bis abends und reihen unsere Tätigkeiten im Kalender auf wie Glasperlen am Schnürchen.
Und damit wir noch produktiver und noch tätiger sein können, versuchen wir, immer mehr aus unserer Zeit herauszuholen. Zum Thema Zeitmanagement und -optimierung hat sich eine gigantische Industrie mit allerlei Seminaren, Webinaren, Retreats, Apps und Büchern entwickelt. Ratgeber und Coaches, die uns lehren, wie wir noch produktiver, noch effektiver, noch ausgefüllter durchs Leben gehen, sind Stars der Managementliteratur. Für alle Lebensbereiche wird uns Rat zur Selbstoptimierung angeboten.
Am Ende fragt sich jedoch: Was wollen wir eigentlich mit unserer lückenlosen Verplanung und immer optimaleren Zeitausbeute erreichen? Steckt hinter all dem letztlich der Versuch, uns die Begegnung mit uns selbst zu ersparen?
Der Imperativ unserer Zeit: Sei tätig, egal wie!
Man muss doch etwas gegen das Nichtstun tun. Dort steht er. Der Imperativ unserer Zeit: Sei tätig, egal wie! Und dies möglichst mit Tätigkeiten, die als sinnvoll und produktiv begriffen werden. Zur Not aber auch mit belanglosem Zeitvertreib. Bereits die bloße Vorstellung, wir könnten uns langweilen, treibt uns kopflos in ein Überangebot sinnfreier Betätigungen. Alles ist besser als das Nichtstun. Dabei verplempern wir die meiste Zeit gerade damit, dem Faulenzen zu entfliehen. Wer hinterfragt schon, ob es sinnvoll ist, wenn sich Yogastunden, Koch- und Sprachkurse, Kinobesuche und Sahnetorten mit Kollegen, Bekannten und Freunden nahtlos aneinanderreihen?
Das waren noch Zeiten, in denen wir an einem verregneten, öden Sonntagnachmittag nichts mit uns anzufangen wussten. Als wir zerknirscht und selbstvergessen vor den Alternativen standen, an die Decke zu starren, Luftschlösser zu bauen oder sich im Nachdenken über das Nachdenken zu verlieren. Als wir digital und medial noch völlig unterversorgt nicht einmal Zuflucht zum Smartphone nehmen konnten und wir noch stundenlang in einem Zustand zwischen Trägheit und Kontemplation zu verharren wussten. Vielleicht haben wir auch einfach nur verlernt, nichts zu tun?
Sind bald Kurse fürs Herumlungern nötig?
Es genügt ja nicht mehr, genügend Zeit zu haben. Langeweile braucht heute den entschlossenen Vorsatz, keinen Vorsatz zu haben: Nichts machen, denken, sagen zu müssen. Einfach nur da sein. Dem Augenblick Raum geben. Das gelingt uns offensichtlich nicht mehr so einfach. Werden wir bald Kurse im optimalen Herumlungern besuchen? Spätestens jetzt sollten die Selbstoptimierer und Daueraktivisten stutzig werden.
Deshalb mein Appell: Verhindern Sie, dass die Langeweile gänzlich der gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeit geopfert wird. Langweilen Sie sich. Machen Sie nichts. Und Sie werden sehen, was alles passiert, wenn nichts passiert.
Autor: Dr. Torsten Breden